Arbeitskreis Heimische Orchideen NRW

Übersehenes Knabenkraut

Dactylorhiza praetermissa (DRUCE) SOÒ

Etymologie:
(griech.) daktylos: Finger; rhiza: Wurzel
(lat.) praetermissus: vorbeigelassen, übersehen

Blütezeit: Juni

Taxonomie: Angesichts verschiedener Meinungen zu Artabgrenzungen und zahlreichen Fehlbestimmungen oder wenig sinnvoller Interpretationen wird D. praetermissa hier sehr eng gefasst, somit u. a. alle ähnlichen Hybridtypen ausgeschlossen (zur Problematik siehe ausführlicher LOOS et al. 2012 und dort zitierte Literatur).

Typische Merkmale: Mit 35-70 cm relativ große Pflanzen, oben hohler Stengel. Kräftige, ungefleckte Blätter, aufgerichtet bis abstehend, die untersten 2 oder 3 ungefähr in der Mitte am breitesten. Blüten hellpurpurn bis dunkelpurpurrot. Lippe ungeteilt bis schwach dreilappig mit dunkelroter Zeichnung aus Punkten oder kurzen Strichen. Seitlicher Lippenrand ein wenig nach vorn gewölbt. Sporn kegelförmig, ziemlich breit, kürzer als der Fruchtknoten. Pollinien grünlich.

Variationsbreite: Dactylorhiza praetermissa subsp. junialis (VERMEULEN) SOÒ, unterschieden durch ringförmige Blattfleckung und stärkere Lippenzeichnung, wurde in NRW noch nicht gefunden. Eine ähnliche Blattfleckung gibt es bei einigen Hybridpo-
pulationen, mit oder ohne Einfluss von D. praetermissa.

Ähnliche Arten: Die Art ist relativ schwer zu bestimmen und erfordert einige Erfahrung im Erkennen bzw. in der Abgrenzung. Sie wird leicht mit Pflanzen aus stabilisierten hybridogenen Populationen mit einem ähnlichen Erscheinungsbild, ohne Beteiligung von Dactylorhiza praetermissa, verwechselt. Hybridpopulationen von Dactylorhiza praetermissa mit Dactylorhiza maculata aggr. s. latiss. haben an mehreren Fundorten innerhalb einiger Jahre die reine Dactylorhiza praetermissa verdrängt.

Biotop: Nasswiesen, Flachmoore, Gräben und Ufer, Hochstaudenfluren, auf kalkreichem Untergrund.

Verbreitung in NRW: Erstmals wurde die Art in NRW in den 1960er Jahren im nördlichen Teil des Niederrheinischen Tieflandes nachgewiesen. Weitere Funde: im südlichen Teil der Niederrheinischen Bucht, auf den Rekultivierungsflächen des Braunkohlereviers der Ville (Verbreitungsschwerpunkt für NRW), nördlicher Rand der Eifel, Raum Aachen, vereinzelt im westlichen Teil des Bergischen Landes, vereinzelt nordwestliche Westf. Bucht, evtl. Weserbergland.

Überprüfungen von Meldungen der letzten Jahre ergaben häufig Hybridtypen aus Dactylorhiza maculata aggr. s. latiss. x majalis handelte (Kartierung 2013 – 2016). Ob sich die Art generell (weiter) ausbreitet, vor allem nach Osten hin, bleibt genauer zu beobachten und entsprechend eingestufte Vorkommen (auch und besonders außerhalb von NRW) sollten kritisch taxonomisch studiert werden.

Gefährdung: Durch die speziellen Standortansprüche der Art und der Tendenz zur Ausbildung zu Hybridpopulationen, die die Elternart verdrängen. Es gibt nur einige wenige Vorkommen, die alle besondere Schutzwürdigkeit verdienen.

Rote Liste NRW: 2 (stark gefährdet)

Bemerkung: Das Auftreten von Hybridpopulationen, die im Habitus Dactylorhiza praetermissa stark ähneln, könnte eine Parallelentwicklung sein, die einst zur hybridogenen Entstehung der Art führte. Genauso könnten diese auffälligen Pflanzen auch Nachkommen von Dactylorhiza-Sippen aus dem Gartenhandel sein. Diese eventuellen Mehrfach-Hybriden (?) sind seit rund 20 Jahren im Handel. Offenbar wurde dort Dactylorhiza praetermissa eingekreuzt.

 

Stand 2018: Leicht verändert nach unserem Buch "AHO NRW (2018): Die Orchideen Nordrhein-Westfalens. LWL-Museum für Naturkunde, Münster". Für weitere Informationen und Quellen siehe ebenda.